Gut organisiert und fanatisch - der Kick und die Politik
Tagung über die politische Rolle von Fußballfans
Von Jakob Epler
Für organisierte Fans ist Fußball mehr als nur ein Spiel. Das Stadion ist für sie auch ein Ort, um politische Ansichten lautstark kundzutun. Warum das so ist, wollte das Institut für Fankultur wissen - und fand in Ägypten ein Paradebeispiel für die Verquickung von Sport und Politik.
Nach einem Fußballspiel Anfang Februar dieses Jahres starben im ägyptischen Port Said 74 Menschen. Der Verein Al Masry hatte Al Ahly aus Kairo empfangen und 3:1 gewonnen. Danach jagten Anhänger des Gastgebers Spieler und Fans von Al Ahly mit Messern und Schlagstöcken. Schnell gab es Gerüchte, die Gewalt sei gewollt und organisiert gewesen. Der Hintergrund: Die Ultrabewegung von Al Ahly ist ein politischer Faktor in Ägypten. Die Fans waren laut James M. Dorsey entscheidend am Sturz von Ex-Präsident Hosni Mubarak beteiligt. Dorsey ist Journalist und Fellow an der Nanyang Technological University in Singapur.
"Also es waren nicht nur die Ultras von Ahly, aber auch die von Zamalek und auch von anderen ägyptischen Klubs. Die haben eine sehr wichtige Rolle gespielt. Sie waren die einzige Gruppe, die wirklich erfahren war in Straßenkämpfen, als die Demonstrationen ausbrachen. Und dadurch spielten sie eine wichtige Rolle in den Kämpfen selbst. Aber auch im Abbrechen von der Angst von vielen Ägyptern, von der Mehrheit der Bevölkerung, zu protestieren. Und sie haben eine sehr wichtige Rolle gespielt seitdem im Widerstand gegen das, was das Militär als seine Rolle sieht in einem Post-Mubarak Ägypten."
Dorsey schätzt, dass 95 Prozent der Ägypter Fußballfans sind. 30.000 bis 40.000 von ihnen sollen zur Ultrabewegung gehören. Ultras sind besonders gut organisierte und fanatische Anhänger von Fußballvereinen. Die Kairoer Vereine Al Ahly und der rivalisierende Zamalek Sports Club sind die erfolgreichsten des Landes, sie haben die meisten Anhänger. Dass Fußballfans wichtig für den Umsturz waren, hat laut Dorsey mit der politischen und sozialen Struktur des Landes zu tun.
"Es ist so, weil wir über ein Land sprechen, wo es keinen unkontrollierten Platz gab. Es gab keinen Platz, um Frustration, um Wut, um Uneinigkeit auszudrücken. Das Stadion, neben der Moschee waren die einzigen zwei Plätze, wo man das tun konnte."
Demokratische Beteiligung in Parteien oder zivilgesellschaftlichen Organisationen war im autokratischen Ägypten praktisch unmöglich. Damit ist ägyptische Fankultur nicht mit der in West-Europa vergleichbar. Harald Lange zieht dennoch eine Parallele. Er leitet das Institut für Fankultur und ist Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg.
"Auf struktureller Ebene kann man sehr schön den Zusammenhang zwischen Fankultur und Politik in Ägypten auf der einen Seite aber auch in Westeuropa auf der anderen Seite nachvollziehen. Da sind halt die Inhalte jetzt andere, die Beweggründe unter Umständen andere, aber dass das Spannungsfeld ganz grundsätzlich zwischen Politik und Sport gegeben ist, zwischen Politik und Sport im Allgemeinen und zwischen Politik und Fußballfankultur im Besonderen: Das kam für mich sehr eindrücklich raus."
Fußball ist politisch. Zumindest wenn organisierte Fans ihn sich zu eigen machen. Das gilt in besonderem Maße für Ägypten, lässt sich aber auch in Deutschland beobachten. Peter Czoch forscht an der Berliner Humboldt Universität. Er meint, von Fußballfans könnten Impulse ausgehen, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig seien.
"Fußball an sich ist eine politische Sache oder wird politisch auch genutzt, also um Präsenz zu zeigen genutzt, aber auch, um gewisse Inhalte zu kolportieren."
So feierte vor Kurzem die Initiative "Fußballfans gegen Homophobie" ihr einjähriges Bestehen. Sie schickte ab Sommer 2011 ein Banner gegen die Diskriminierung von Homosexuellen auf Reisen. Zu sehen war es bei Spielen von Klubs in unterschiedlichen Ligen. Fans halten also bestimmte Werte und Normen hoch. Für Czoch sind es aber nicht nur die Inhalte, die Teil gesellschaftlicher Willensbildung sein können. Fangruppen würden oft basisdemokratisch entscheiden, meint er. Hier lernten junge Menschen ihre Meinung zu vertreten, Kompromisse zu schließen und einen Konsens zu suchen. Allerdings sieht Czoch auch ein andere Seite der Fangruppen.
"Nur weil es eine aktive Fankultur gibt oder Jugendkultur, heißt es nicht, dass sie per se links oder emanzipatorisch sein muss. Es gibt auch rechtsradikale Gruppen, die letztlich auch auf dieser Basisorganisierung aufbauen, nur die Zielsetzung anders deuten oder anders umsetzen, als es dann linkere Gruppen machen würden."
Nicht nur beim Fußball geht es um politische Inhalte. Theoretisch ist das bei allen Sportarten, die begeisterte Anhänger haben, denkbar. Fußball hat jedoch zwei Charakteristika, die ihm ein besonderes politisches Potenzial geben. Erstens ist er eine Mannschaftssportart. Dadurch ist es leicht, sich zugehörig, als Teil eines Kollektivs zu fühlen. Das ist bei Individualsportarten schwieriger, da hier die Leistung eines Einzelnen im Vordergrund steht. Zweitens ist Fußball ein Massenphänomen. Harald Lange:
"Der Fußball ist deshalb ein Massenphänomen, weil er so attraktiv ist, weil er so spannend ist und weil er letztlich jedem auf der Straße einen Zugang ermöglicht. Man muss da gar nicht viel wissen, um zu verstehen, worum es im Fußball geht. Deshalb ist die Hürde, das zu verstehen, da mitzureden, da mitzudenken ganz niedrig und ich kann sofort teilhaben. Ich brauche ein Spiel, dann weiß ich, wie es läuft. Und das macht den Fußball und die Fußballfankultur auch offen für - wenn man so will - politische Instrumentalisierung aber auch für politische Agitation. Das heißt, aus diesen Fußballfangruppen heraus ist es sehr leicht möglich, politisch zu werden."
Die schiere Anzahl kann den Fans politisches Gewicht geben. Ägypten hat etwa so viele Einwohner wie Deutschland, nämlich rund 80 Millionen. Allein der Kairorer Club Al Ahly soll nach eigenen Angaben 50 Millionen Fans haben. Ob diese Zahl nun stimmt oder nicht. Die Ultras von Al Ahly könnten bald wieder auf der Straße sein. Sie fordern, dass lückenlos aufgeklärt wird, warum in Port Said 74 Menschen sterben mussten.
"Also es waren nicht nur die Ultras von Ahly, aber auch die von Zamalek und auch von anderen ägyptischen Klubs. Die haben eine sehr wichtige Rolle gespielt. Sie waren die einzige Gruppe, die wirklich erfahren war in Straßenkämpfen, als die Demonstrationen ausbrachen. Und dadurch spielten sie eine wichtige Rolle in den Kämpfen selbst. Aber auch im Abbrechen von der Angst von vielen Ägyptern, von der Mehrheit der Bevölkerung, zu protestieren. Und sie haben eine sehr wichtige Rolle gespielt seitdem im Widerstand gegen das, was das Militär als seine Rolle sieht in einem Post-Mubarak Ägypten."
Dorsey schätzt, dass 95 Prozent der Ägypter Fußballfans sind. 30.000 bis 40.000 von ihnen sollen zur Ultrabewegung gehören. Ultras sind besonders gut organisierte und fanatische Anhänger von Fußballvereinen. Die Kairoer Vereine Al Ahly und der rivalisierende Zamalek Sports Club sind die erfolgreichsten des Landes, sie haben die meisten Anhänger. Dass Fußballfans wichtig für den Umsturz waren, hat laut Dorsey mit der politischen und sozialen Struktur des Landes zu tun.
"Es ist so, weil wir über ein Land sprechen, wo es keinen unkontrollierten Platz gab. Es gab keinen Platz, um Frustration, um Wut, um Uneinigkeit auszudrücken. Das Stadion, neben der Moschee waren die einzigen zwei Plätze, wo man das tun konnte."
Demokratische Beteiligung in Parteien oder zivilgesellschaftlichen Organisationen war im autokratischen Ägypten praktisch unmöglich. Damit ist ägyptische Fankultur nicht mit der in West-Europa vergleichbar. Harald Lange zieht dennoch eine Parallele. Er leitet das Institut für Fankultur und ist Professor für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg.
"Auf struktureller Ebene kann man sehr schön den Zusammenhang zwischen Fankultur und Politik in Ägypten auf der einen Seite aber auch in Westeuropa auf der anderen Seite nachvollziehen. Da sind halt die Inhalte jetzt andere, die Beweggründe unter Umständen andere, aber dass das Spannungsfeld ganz grundsätzlich zwischen Politik und Sport gegeben ist, zwischen Politik und Sport im Allgemeinen und zwischen Politik und Fußballfankultur im Besonderen: Das kam für mich sehr eindrücklich raus."
Fußball ist politisch. Zumindest wenn organisierte Fans ihn sich zu eigen machen. Das gilt in besonderem Maße für Ägypten, lässt sich aber auch in Deutschland beobachten. Peter Czoch forscht an der Berliner Humboldt Universität. Er meint, von Fußballfans könnten Impulse ausgehen, die für eine demokratische Gesellschaft wichtig seien.
"Fußball an sich ist eine politische Sache oder wird politisch auch genutzt, also um Präsenz zu zeigen genutzt, aber auch, um gewisse Inhalte zu kolportieren."
So feierte vor Kurzem die Initiative "Fußballfans gegen Homophobie" ihr einjähriges Bestehen. Sie schickte ab Sommer 2011 ein Banner gegen die Diskriminierung von Homosexuellen auf Reisen. Zu sehen war es bei Spielen von Klubs in unterschiedlichen Ligen. Fans halten also bestimmte Werte und Normen hoch. Für Czoch sind es aber nicht nur die Inhalte, die Teil gesellschaftlicher Willensbildung sein können. Fangruppen würden oft basisdemokratisch entscheiden, meint er. Hier lernten junge Menschen ihre Meinung zu vertreten, Kompromisse zu schließen und einen Konsens zu suchen. Allerdings sieht Czoch auch ein andere Seite der Fangruppen.
"Nur weil es eine aktive Fankultur gibt oder Jugendkultur, heißt es nicht, dass sie per se links oder emanzipatorisch sein muss. Es gibt auch rechtsradikale Gruppen, die letztlich auch auf dieser Basisorganisierung aufbauen, nur die Zielsetzung anders deuten oder anders umsetzen, als es dann linkere Gruppen machen würden."
Nicht nur beim Fußball geht es um politische Inhalte. Theoretisch ist das bei allen Sportarten, die begeisterte Anhänger haben, denkbar. Fußball hat jedoch zwei Charakteristika, die ihm ein besonderes politisches Potenzial geben. Erstens ist er eine Mannschaftssportart. Dadurch ist es leicht, sich zugehörig, als Teil eines Kollektivs zu fühlen. Das ist bei Individualsportarten schwieriger, da hier die Leistung eines Einzelnen im Vordergrund steht. Zweitens ist Fußball ein Massenphänomen. Harald Lange:
"Der Fußball ist deshalb ein Massenphänomen, weil er so attraktiv ist, weil er so spannend ist und weil er letztlich jedem auf der Straße einen Zugang ermöglicht. Man muss da gar nicht viel wissen, um zu verstehen, worum es im Fußball geht. Deshalb ist die Hürde, das zu verstehen, da mitzureden, da mitzudenken ganz niedrig und ich kann sofort teilhaben. Ich brauche ein Spiel, dann weiß ich, wie es läuft. Und das macht den Fußball und die Fußballfankultur auch offen für - wenn man so will - politische Instrumentalisierung aber auch für politische Agitation. Das heißt, aus diesen Fußballfangruppen heraus ist es sehr leicht möglich, politisch zu werden."
Die schiere Anzahl kann den Fans politisches Gewicht geben. Ägypten hat etwa so viele Einwohner wie Deutschland, nämlich rund 80 Millionen. Allein der Kairorer Club Al Ahly soll nach eigenen Angaben 50 Millionen Fans haben. Ob diese Zahl nun stimmt oder nicht. Die Ultras von Al Ahly könnten bald wieder auf der Straße sein. Sie fordern, dass lückenlos aufgeklärt wird, warum in Port Said 74 Menschen sterben mussten.
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